Über Regina Hadraba
von Theresia Hauenfels
2010



Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
(Franz Kafka)

Regina Hadraba zieht Linien. Über Farbflächen. Auf transparenten Platten. Durch selbst gebundene Buchobjekte. Das Farbspektrum ist reduziert. Die Linie schwarz, manchmal rot, wie bei der Rubrizierung in der alten Buchkunst. Rubrum – rot – war die Farbe der Initialen, der Überschriften, um den Text zu organisieren, gesetzt vom Rubrikator, der das, was seine Kollegen schrieben, zugleich kontrollierte und korrigierte. 1

Manchmal schöpft sie auch das Papier selbst, auf das sie ihre Siebdrucke oder Monotypien setzt. Die Oberflächen erhalten dadurch eine eigenwillige Rauheit: ein Konterpunkt zur Geschmeidigkeit der Bewegung, die der Geste ihrer Kompositionen inne wohnt. Die Möglichkeiten der Vervielfältigung nutzt sie – so scheint es – mehr aus methodischem Interesse an seinem technischen Potenzial als im Sinne einer Multiplikation des Originals. Das Technoide ist ihr dennoch fremd, auch dort, wo sie Textfragmente einbaut. Die eigene Handschrift widerlegt die Gleichförmigkeit und Reproduzierbarkeit von Schriftfonts. Die Zitate, die sie verwendet, sind spröde, es sind Autorinnen wie Christine Lavant oder Ingeborg Bachmann, meist Lyrik, eigenwillig grafisch interpretiert. Die Zeichnung reagiert auf den Puls des Sprachflusses, verweigert, Illustration zu sein. Bei ihrem Künstlerbuch „Innen sind meine Augen Fenster“ lässt sie geronnene Farbe auf gebündelte Striche prallen. 48 Seiten hat das Werk, wie es auch die Definition des Minimal-Umfangs in der gängigen Definition eines Buches vorsieht.  Zehn Seiten dagegen umfassen die sternförmig aufgeblätterten Buchobjekte aus MDF-Platten in der Dimension von mehr als zwei Meter Höhe, die Regina Hadraba mit Auszügen aus einem Text des slowenischen Schriftstellers Ivan Štrpka versehen hat und die begehbar sind. Bei diesen aufgeklappten, plastischen Blättern gibt es keinen Buchdeckel, der sich im Materialvolumen vom Kern und seinen Seiten abhebt.

Ad absurdum führt Regina Hadraba die Intention des Buches, Informationsträger zu sein, bei den Objekten, deren Inhalt sie für alle Zeiten verschließt. Die Farbe, mit der sie alles überdeckt, lässt die Seiten zusammenkleben. Nun wird irrelevant, ob sich darin griechische Mythologie oder eine juridische Abhandlung verbirgt. Die Bücher selbst stammen vom Flohmarkt, aus Wühlkisten, wurden von ihren alten Besitzern nicht mehr benötigt. Sie überschreibt die Titel, projiziert auf die Außenhülle neue Texte, unterminiert die ursprüngliche Aussage des Werkes. In dieser Metamorphose, einem Recycling bestehender Strukturen, zeigt sich auch das Konzeptuelle ihres Arbeitens. Bestehen bleibt das Volumen. Nie geht es ihr um die ästhetische Komponente allein, auch wenn die Arbeiten sich dieser nicht verweigern.  Darin liegt auch die Stärke des Œuvres, das trotz unterschiedlicher Bildträger – von der Wand in der Galerie über transparente Flächen bis zu klassischen Formaten – eine bemerkenswerte Stringenz besitzt, ohne an Abwechslungsreichtum einzubüßen.

Wenn Regina Hadraba ihre Linien zieht, bleibt es selten bei dem einzelnen Strich. Scheinbar einem magnetischen Prinzip folgend, formieren sich die Linien zu Gebilden, die eine große gemeinsame Richtung konfigurieren. In den Überschneidungen dieser gestalthaften Einheiten schichten sich die Strukturen, entstehen Tiefen, erwachsen poetische Momente. Die Korrespondenz zur Lyrik, die sie in ihr Werk einbaut, wird dadurch auf abstrahierter Ebene erlebbar gemacht. Es sind Linien, die berühren. Linien wie Risse in einer vereisten Wasseroberfläche.


1] http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digi/glossar/p-r.html#P
Abgerufen am 2.11. 2010